Kurzzeitwohnen für Kinder und Jugendliche mit Behinderung und deren Familien

Eine wissenschaftliche Evaluation im Neuen Kupferhof. Autor/innen: Andreas Langer, Fabian Frei, Jana Molle. Herausgeber: Hände für Kinder – Kupferhof gGmbH.

Durch die wissenschaftliche Evaluation wurden Wirkungszusammenhänge und Einflüsse der familienorientierten Angebote des Neuen Kupferhofs unter Einbezug der Familien auf den Erfolg von Angeboten für Kinder mit Behinderung untersucht.

Familienorientierung im Neuen Kupferhof als Antwort auf eine Angebotslücke für Kinder mit Behinderung

Das Kurzzeitwohnen für Kinder mit Behinderung und deren Familien im Neuen Kupferhof wird von dem Ziel geleitet, die Teilhabe von Kindern mit Behinderung zu fördern und ihre Familien für ein langfristiges, nachhaltig gesichertes Wohlergehen von Kindern mit Behinderung im Familienverbund zu stärken. Der Neue Kupferhof orientiert sich durch seine innovative Angebotsausgestaltung im Sinne der Familienorientierung an relevanten Teilhabebereichen, -ressourcen und -chancen von Kindern mit Behinderung und deren Familien.

Es gibt deutliche Hinweise darauf, dass durch Leistungen in dieser Schnittstelle in vielen Fällen Beiträge dazu geleistet werden, stationäre Unterbringungen zu verschieben oder sogar langfristig zu vermeiden. Die Ergebnisse dieser Untersuchung bestätigen den Stellenwert eines familienorientierten Ansatzes, denn der Neue Kupferhof unterstützt und stabilisiert in zweifacher Weise das System Familie– vor dem Hintergrund der Belastungslagen und Bedarfe von Kindern mit Behinderung und ihren Familien:

  1. die Unterstützung der Bewältigungskompetenz (Resilienz) bzw. ihrer Ressourcen und
  2. die Förderung von  Kompetenz zur Stärkung des familiären Zusammenhalts und Bindung (Kohärenz).

Ein wesentliches Ziel der Familienorientierung und der Teilhabeleistungen in Bezug auf Maßnahmen für die Gästekinder ist das Prinzip des »gesichertenWohlergehens des Kindes in seiner Familie«, das auch als eine Voraussetzung zur Entlastung der Eltern zu verstehen ist. Die strukturelle Bedingung, dass sich eine Fachkraft nicht um mehr als zwei Kinder parallel pro Schicht im Tagdienst kümmert, übersteigt als Stellenschlüssel die durch die Eingliederungshilfe (Leistungsvereinbarung) finanzierten Leistungen und ist durch die Art und Schwere der Behinderung und des Förderbedarfs begründet, um die Bedarfe der Adressat/innen adäquat zu decken: Die intensive Betreuung zusammen mit der Fachkompetenz und der elternorientierten Arbeitsweise ist das Kernelement, das zum prozesshaften Vertrauensaufbau der Eltern beiträgt. Es zeigt sich, dass mit der Anpassung des Betreuungsschlüssels bereits in der Startphase des Neuen Kupferhofs wesentliche Grundlagen geschaffen wurden, um durch verlässliche Pflege und Betreuung Vertrauensstrukturen zu fördern, die zu den beschriebenen Wirkfaktoren beitragen.

Die Leistungen unterstützen die Eltern bei der Bewältigung spezifischer individueller Belastungslagen. Im Lebenslauf der Familien kann sich dies in fünf wesentlichen Bereichen auswirken:

  • Das Kurzzeitwohnen durchbricht den Teufelskreis 24/7 zwischen Dauerbelastung und Belastung der Eltern-Kind-Beziehung.
  • Das Kurzzeitwohnen gibt Impulse für die Problemlösung familiärer Alltags- und Beziehungsgestaltung.
  • Durch den Aufenthalt im Neuen Kupferhof entstehen neue außerfamiliäre Kontakte und Familien werden im Umgang mit Exklusionserfahrungen gestärkt.
  • Familien erfahren Entlastung im Umgang mit dem Arrangement eines individuellen Hilfesettings.
  • Das Schicksal akzeptieren und annehmen lernen: Unterstützung und Hilfe auf der individuellen Ebene und bei emotionalen Belastungen durch Beratungs- und Austauschstrukturen im Neuen Kupferhof.

Förderung der kulturellen und gesellschaftlichen Teilhabe für Gastkinder

Der Neue Kupferhof bietet neue Möglichkeiten zur kulturellen und gesellschaftlichen Teilhabe und zum Leben in der Gemeinschaft. Durch diese Erweiterung während der relativ kurzen Aufenthaltszeit im Kupferhof können Familien neue Impulse gegeben und Alternativen aufgezeigt werden, wie Inklusion gelebt werden kann. Dadurch werden Exklusionserfahrungen im heimischen Umfeld kompensiert: Hinsichtlich (freizeitlicher) Unternehmungen mit dem Kind im privaten Umfeld der Familien verdeutlichen die Untersuchungsergebnisse, dass solche Aktivitäten, die auf Grund des organisatorischen und personellen Aufwandes für eine Vielzahl der Elternteile zu Hause nicht möglich scheinen, im Neuen Kupferhof jedoch zumindest teilweise umgesetzt werden können.

Stärkung des familiären Zusammenhalts und der Bewältigungsressourcen der Familien im Neuen Kupferhof

Die Eingliederungshilfe in einem engeren (kindbezogenen) und weiteren (familienbezogenen) Zusammenhang findet durch den gesonderten Verantwortungsbereich »Soziale Betreuung« strukturell seinen Ort. Die Leistungen des Neuen Kupferhofs entlasten Familien und vor allem Eltern während des Aufenthaltes. Die Soziale Beratung und Begleitung der Familien ist als wesentlicher Bestandteil zur Erfüllung der Leitziele des Neuen Kupferhofes und der Eingliederungshilfe zu verstehen. Diese wird durch die pädagogische Begleitung, aber auch durch die Selbsthilfestrukturen vor Ort umgesetzt. Exklusionserfahrungen im sozialen Bereich und im Rahmen der Freizeitgestaltung können durch das Angebot temporär und teilweise längerfristig kompensiert werden. Handlungs- und Interventionsmöglichkeiten können mit fachlicher Unterstützung oder durch die »Peers« eröffnet, reflektiert und gefestigt werden – auch bedingt durch die Entlastung und Erholung der Eltern. Das Angebot des Neuen Kupferhofes bietet »Ermöglichungsräume«, um bspw. nachhaltige Veränderungsprozesse im Umgang mit Krisen oder herausfordernden Umständen anzuregen oder Unterstützungssysteme wie soziale Netzwerke aufzubauen.

Wirkungszusammenhänge des Kurzzeitwohnens

Die Wirkungszusammenhänge, die zu einer nachhaltigen Förderung und Entlastung der Kinder mit Behinderung und ihrer Familien führen, sind komplex. Trotzdem ist deutlich zu erkennen, dass der Aufenthalt im Neuen Kupferhof einen wichtigen Baustein im Lebenslauf der Familien darstellt, um eine dauerhafte Unterbringung der Kinder in stationären Einrichtungen zu verhindern.

Das Kurzzeitwohnen im Neuen Kupferhof löst zentrale Probleme und Bedarfserfordernisse von Kindern mit Behinderung. In dieser Funktion gibt der Kupferhof wichtige Impulse zur Stabilisierung des familiären Systems. Die Teilhabe von Kindern mit Behinderung wird maßgeblich gefördert und die familiäre Bindung (Kohäsion) sowie die familiären Bewältigungskompetenzen (Resilienz) werden gestärkt.

Die nachhaltige (Aus-)Wirkung ist mitunter die Konsequenz zweier wesentlicher Erfolge bei der Förderung der Kinder und Unterstützung der Familien. In der Konsequenz werden Familien bezüglich zentraler Belastungslagen gestärkt und stabilisiert. Die angebotenen Problemlösungen stellen entscheidende Wirkfaktoren dar, damit die Familie langfristig das Ziel und die Leistung übernehmen kann, Kinder mit Behinderung zu pflegen, zu betreuen, zu fördern und ihnen bestmögliche Inklusionschancen zu sichern. Gleichzeitig werden Kinder individuell gefördert.

Diese Leistungsergebnisse sind nur möglich auf der Basis einer hervorragenden und verlässlich entlastenden Basisversorgung der Gastkinder im Rahmen einer guten Tagesstruktur, adäquater räumlicher Bedingungen, einer hervorragenden Übernahme der Leistungen bezüglich physischer Gesundheit und Pflege.

Eine adäquate Leistungsstruktur wird durch entsprechende Leistungsprozesse und Angebote gesichert, die in der Pionierphase aufgebaut und weiterentwickelt wurden. Dazu gehört imWesentlichen die 2:1-Betreuung, das Aufnahme- und Hilfeplanmanagement, die Zusammenarbeit mit den Eltern auf Augenhöhe sowie die Stärkung der Selbsthilferessourcen der Eltern.

Diese Form der Eingliederungshilfe hebt sich bedeutend von rein pflegerischer Versorgung ab. Sie ist eine Ergänzung zum bestehenden Eingliederungshilfe-System und schließt eine Bedarfslücke mit dem Ziel, die Förderung und bedarfsdeckende Unterstützung der Kinder mit Behinderung in ihrem direkten Umfeld abzudecken.